Kunsthistorikerin M.A.

Dipl. Restauratorin für Gemälde und gefaßte Skulpturen

07.05.2003

SCHWÄBISCHES TAGBLATT

Ulrike Pfeil

 

 

 

Mikro-Operationen an lebenden Gemälden

Zusammenspiel von Form und Inhalt: In einer denkmalgeschützten Tübinger Bauhaus-Villa werden beschädigte Kunstwerke von Fachfrauen restauriert.

 

TÜBINGEN. Kaum noch zu ahnen ist unter all den baulichen Veränderungen das einstige Tübinger „Weißenhöfle“, eine Bauhaus-Kolonie aus den späten zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, angesiedelt entlang der Haußerstraße. Das besterhaltene Exemplar, Haußerstraße 42, wurde jedoch vor kurzem von seinen neuen Besitzern stilgerecht bis ins Detail renoviert.

Auch der Inhalt passt zur denkmalgeschützten Hülle:

Die Besitzerin Bettina von Gilsa ist nämlich Kunst- Restauratorin von Beruf. Zusammen mit ihrer Kollegin Saskia Mertens hat sie im Gartengeschoss eine Restaurierungswerkstatt eingerichtet.

 

Kubische Baukörper, ineinandergesteckt; weiße, flächige Außenwände; schwarzlackierte Fenster und Türen. Breite, horizontal Türformate, Bullaugen, Dachterrasse. Der Architekt Martin Elsaesser hatte sich in Tübingen mit dem Kepler-Gymnasium und der Eberhardskirche in der Südstadt einen Namen gemacht. Mit dem Wohnhaus in der Haußerstraße wandte er sich entschieden der Moderne zu. Elsaesser baute es 1929 für seine Schwester, die mit einem Missionar verheiratet war.

Bettina von Gilsa liebte dieses Haus aus der Ferne schon lange, bevor sie es besaß. Vor der Renovierung machte die Restauratorin einen gründlichen Befund, unter- suchte Lackschichten, Wand- und Fassadenfarben. Zu ihrem Glück hatten die Vorbesitzerinnen das Gebäude in Ehren gehalten, vieles war noch original vorhanden: von den Fußböden in Holz, Linoleum oder schwarzem Terrazzo mit Messingfugen über das Treppenhaus mit großzügig schwingendem hölzernem Geländer bis zu den Außenlampen und Fenstergriffen. Die Innenwände waren zum Teil farbig, zart hellblau oder gelb getönt.

Das Haus als Kunstwerk ist nun auch ein Ausdruck der Sorgfalt, mit der beweglichere Kunstobjekte in der Restaurierungswerkstatt behandelt werden. Von Gilsa, 43, und Saskia Mertens, 32, beide Absolventinnen des renommierten Restaurierungs-Diplomstudiums an der Stuttgarter Akademie der bildenden Künste (und ihres Wissens die einzigen in Tübingen), taten sich vor drei Jahren zusammen. Zuvor hatte Bettina von Gilsa erst in Walddorfhäslach, später in Tübingen ein ei- genes Atelier betrieben. Sie sind Spezialistinnen für Gemälde und gefasste, das heißt bemalte Skulpturen – die sind in der Regel aus Holz, seltener aus Ton.

Die wichtigsten Kunden von Restauratoren sind öffentliche Einrichtungen wie Museen, das Denkmalamt, Kirchen. Von Gilsa hat den Schäufelein-Altar in der Tübinger Stiftskirche bearbeitet und Heiligenbilder aus dem Rottenburger Diözesanmuseum, sie betreut Ausstellungen für die Bundeskunsthalle in Bonn und kümmerte sich um die Landschaftsbilder der Stiftung Thyssen-Bornemisza. In der letzten Zeit spüren die freien Ateliers allerdings den Sparzwang der öffentlichen Hände. So sind Privatkunden wichtiger geworden.

 

Zur Zeit ist da ein Niederländer in Kur, eine Winter-Idylle mit Eisläufern. Das Ölgemälde hat einen Riss, der schon einmal ziemlich stümperhaft verarztet wurde. Mit Wachs an der Rückseite verklebt, das mit der Zeit in das Craquelé vordringt (die Haarrisse in der Farbe), für dunkle Verfärbung sorgt und manchmal einen „Bauch“ bildet. Restauratorinnen sehen solch unsachgemäße Behandlungsfehler sofort, auch bei Gemälden in Museen. „De-Restaurierung“ steht hier an.

Und restaurative Mikro-Chirurgie an der Leinwand. Ist das Wachs entfernt, wird der Riss unterm Mikroskop mit feinsten Fäden überbrückt und gekittet. Zum unauffälli- gen Flicken bemalter Leinwand verwenden Restauratoren manchmal tatsächlich Operationsnadeln. Die Gemälde-Oberfläche wird übrigens nicht mit Öl-, sondern mit Aquarellfarben retuschiert. Ölfarben haben nämlich die Eigenschaft, nach- zudunkeln. Außerdem ist „Reversibilität“ ein Grundsatz und Anspruch der Restaurierungsarbeit: Verfälschen die Eingriffe das Original, sollen sie wieder rückgängig gemacht werden können.

Bilder werden gereinigt, sie werden neu verspannt, und manchmal werden fingernagelkleine „Farbschüsselchen“, die sich abzulösen drohen, mit einer Art Mini-Bügeleisen auf einem Niederdrucktisch wieder angebügelt.

Es steckt eine Menge Wissenschaft in diesem Beruf, die Etiketten auf den Flaschen, Gläsern, Dosen im Wandschrank haben zugleich etwas von einer geheimnisvollen Alchi- mistenküche: „Beinschwarz aus Knochen“ steht zwischen Lapislazuli, Reibgold und Zinnober, Weizen- stärkekleister und Marseiller Seife, Champagnerkreide, Borax und Firnis. Waagen, Trichter, Pinsel, Watte, Flederwisch werden gebraucht. Selbstverständlich sind sie Kundinnen bei der inzwischen berühmten Farbmühle Kremer in Aichstetten im Allgäu, wo Farben traditionell aus Mineralien gewonnen werden.

Saskia Mertens schüttelt winzige quadratische Kunstharz-Scheiben aus einem Glas: Ein Holzspan, aus einem gotischen Kruzifix herausgebohrt, konnte so gefasst in Querschnitte zersägt und unterm Mikroskop auf seine diversen Farbschichten untersucht werden.

So wie am Anfang die Analyse steht, gehört zum Abschluss der Restaurierung das schriftliche Gutachten: eine kunsthistorische Einordnung und Bestandsaufnahme. Auch werden alle Objekte konservatorisch gesichert: im Rahmen neu befestigt, die Rückseiten geschützt. „Heute, wo neue Kunstobjekte so teuer sind, sollte man sich aufs Konservieren konzentrieren“, sagt Bettina von Gilsa.

Für Laien überraschend: Nicht die feinen Farb-Nuancen des Niederländers sind für die Restauratorinnen die größte Herausforderung, sondern Werke der Moderne, mit ihrem oft flächigen, perfektionistischen Farbauftrag, ohne Versteck für feinste Reparaturlinien im Craquelé. „Matte, monochrome Oberflächen“, stöhnt von Gilsa, „das ist der Horror.“ Auch die Absicht des Künstlers muss erspürt oder recherchiert werden. Wollte er sein Werk altern lassen, oder sollte es die Frische des ersten Tags behalten?

Ein vielseitiger, kreativer Beruf, also auch begehrt, aber nicht leicht zugänglich. Wer sich an der Akademie für die Ausbildung zum Restaurator bewirbt, muss schon 32 Monate Praktikum in anerkannten Werkstätten mitbringen. Die Aufnahmeprüfung dauert eine Woche; von rund 30 Bewerbern werden jedes Jahr nur fünf genommen. Praktikant(inn)en, übrigens, können von Gilsa und Mertens nicht aufnehmen. Beide sind Mütter von drei beziehungsweise zwei Kindern und führen ihr Atelier deshalb als Halbtagsbetrieb.

 

 

 

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